Ich möchte dir gerne etwas über mich und meinen Weg erzählen. Keine Angst, ich werde nicht mit meiner Kindheit anfangen, sondern werde dich direkt bei meinen ersten großen Schritt ins „Erwachsenen-Leben“ – und auch den ersten Schritt Richtung Burnout – abholen.

Abi – und jetzt?

Damals stand mir gefühlt die Welt offen und ich konnte endlich frei und unabhängig sein. Ich hatte mein Abi endlich geschafft – keine Schule mehr, keine Vorschriften, kein Zwang! Endlich frei! Dachte ich zumindest.

Natürlich war ich jetzt frei, aber was ist der nächste Schritt? Wie wird es jetzt weiter gehen? Was mache ich? Studieren wollte ich nicht, ich hab ja schließlich lange genug gelernt, Prüfungen abgelegt und mich in Lehrbüchern vergraben. Das wäre ja genau das selbe, was ich jetzt hatte. Nein ich werde eine Ausbildung machen und wenn ich will, kann ich ja später immer noch studieren.

Also was mache ich jetzt? In meiner Ratlosigkeit habe ich Beruftests zu Stärken und Schwächen durchgeführt, ich habe Broschüren vom Arbeitsamt durchgeblättert, habe mich umgehört, was die Pläne der anderen sind,… Aber irgendwie nichts Passendes gefunden. Sooo schwer kann das doch nicht sein! Langsam fragen schon alle, was ich jetzt tun werde und ich schäme mich tatsächlich ein bisschen, weil ich gar so planlos bin… Meine Mutter fragt mich eines Tages beim Frühstück: „Sagmal was kannst du eigentlich?“

Du darfst das jetzt nicht falsch verstehen – das war keine böse Frage! Nein sie fragt es ganz sachlich und ruhig und ich werde nachdenklich. Ich kann gut lesen. Ich mag Bücher. Hab ich da nicht was über eine Ausbildung zur Buchhändlerin gelesen? Und dann geht es Ratzfatz: Bewerbungen schreiben, Vorstellungsgespräche, Probearbeiten und da habe ich meinen ersten Job. 250km von zu Hause weg, endlich frei und raus aus dem Dorf – rein in die Stadt! Na gut, keine Großstadt, aber immerhin 70.000 Einwohner. Ich habe mir meine erste eigene Wohnung gesucht und bin innerhalb von einem Monat umgezogen.

Learning by Doing…

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Neue Herausforderungen

Mit dem Schritt in den neuen Lebensabschnitt, kommen automatisch neue Herausforderungen auf dich zu. In meinem Fall waren das sowohl berufliche, als auch soziale und organisatorische. Wenn du das erste Mal umziehst, gibt es einiges an Papierkram zu erledigen und zu beachten – damit möchte ich mich an der Stelle aber nicht weiter aufhalten – Google hilft 😉

Herausforderung Nummer 1 : Freunde finden!

Ich kannte wirklich niemanden in der neuen Stadt. Natürlich fehlen dann die sozialen Kontakte. Nun hatte ich ein Problem: meine Arbeitskollegen waren alle älter als ich. Ich verstand mich zwar gut mit Ihnen, aber man hatte dann doch etwas unterschiedliche Interessen. Nachbarn schieden auch aus – ich wohnte in einem Gebäudekomplex voller Rentner.
Alleine losziehen und Leute ansprechen? Natürlich das wäre logisch – aber sei ehrlich: das ist gar nicht so einfach… Wo macht man das am Besten? Im Supermarkt? Was soll ich denn dann überhaupt sagen?
Ich bin ganz ehrlich, es kam nicht nur einmal vor, dass ich aufgestylt in meiner Wohnung saß und dann wieder gekniffen habe. Es war frustrierend! Aber wie es der Zufall so will, dann doch einfach. Ich kam mit einer der Schüler-Aushilfen an unserer Kasse ins Gespräch. Sie lud mich direkt ein, mit ihr und ihren Freunden abends etwas zu unternehmen. Darüber habe ich dann wieder neue Leute kennengelernt…. Somit konnte ich einen neuen Freundeskreis schaffen.

Herausforderung Nummer 2 : Haushalt führen!

Natürlich habe ich meine Mutter schon als Kind dabei viel unterstützt und wusste was ich zu tun hatte. Aber wie bekomme ich das parallel zur Arbeit geregelt? Ohne Aufgaben aufzuteilen? Das ist gar nicht so einfach. Und Freizeit willst du ja auch haben. Ich habe versucht mich ein wenig selbst zu disziplinieren und z.B. nur wenig Geschirr angeschafft, damit ich einfach abspülen muss, weil nichts mehr da ist. Ein Abend kochen, am nächsten Reste essen und abspülen, parallel lief die Wäsche,… Also auch hier habe ich einen guten Weg gefunden mich zu organisieren und diesen Bereich in mein neues Leben einzubauen.

Herausforderung Nummer 3 : Der Job!

Einen neuen Job zu beginnen, bringt auch neue Aufgaben und Herausforderungen mit sich. Du kennst das natürlich – gerade am Anfang kommt man abends total erschöpft nach Hause und will nur noch ins Bett. Mit der Zeit kennt man den Tagesablauf und die Aufgaben und es fällt immer leichter.


Du siehst, ich hatte alles soweit gut im Griff und mir einen guten Alltag zusammengebaut.
Mein Problem war: ich wollte mehr! Ich wollte alles super machen, alles perfekt, keine Fehler. Habe ich einen Fehler gemacht, habe ich mich direkt ertappt, schuldig und unwohl gefühlt und bin rot angelaufen. Den Fehler mache ich nicht noch einmal… Du denkst jetzt vermutlich: Hey ist doch nicht schlimm, Fehler passieren, du lernst das doch gerade erst alles. Jetzt sehe ich das natürlich genauso. Mein 19-Jähriges Ich aber nicht.

Selbstmanipulation

Gerade im Job habe ich alles geben wollen. Also habe ich mich noch mehr angestrengt, mehr reingearbeitet, versucht alles ganz schnell zu verstehen, perfekt zu können,… Im Gegenzug war mir Feedback ganz wichtig. Ich will gelobt werden, ich möchte die Anerkennung und auf meine Leistung stolz sein. Schließlich definieren wir uns ja über die Arbeit. Oder? Wir leisten einen Beitrag zur Gesellschaft, wir verdienen Geld damit und wir verbringen dort die meiste Zeit. Natürlich habe ich mich noch über meine Aufgaben hinaus engagiert: ich habe nach neuen Ideen und Verbesserungen gesucht. Nach Wegen um Abläufe zu vereinfachen und zu optimieren, um noch schneller sein zu können.

Ja ich war „nur“ eine Auszubildende, aber ich war auch ehrgeizig und zielorientiert – ich will ja schließlich Karriere machen. Man könnte erwarten, dass ein Chef sich über so ein fleißiges Arbeiterbienchen freut. Meiner nicht. Im Gegenteil: er hat mich nicht Ernst genommen, die Ideen als seine eigenen ausgegeben und mich nur belächelt. Das war sehr frustrierend und enttäuschend für mich. Ich wurde wütend, ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, was ich anders – noch besser – machen kann. Du schüttelst jetzt vielleicht den Kopf und denkst dir das selbe wie ich heute: Mensch Mädel, enstpann dich!

Spirale abwärts

Nein ich habe nicht entspannt. Mir ging es schlechter. Ich habe zum Ausgleich viel gefeiert, ich habe die Wohnung vernachlässigt, habe mich zurückgezogen und wurde immer ruhiger. Und traurig.

Das haben meine Freunde und meine Familie natürlich auch gemerkt: ich kann mich zwar gut verstellen und auch schauspielern, aber einen Oscar werde ich sicher nie verdienen.
Ich bekam Probleme mit dem Magen, verlor an Appetit und hatte gefühlt jeden Tag vor der Arbeit Durchfall. Ich war häufiger krank und kam morgens immer schwerer aus dem Bett.

Dass mein Chef die Buchhandlung umbaut und dort eine Lotto-Stelle mit aufnimmt, hat die Sache auch nicht besser gemacht. Unsere Kundschaft änderte sich dementsprechend. Plötzlich muss ich mich von Kunden auch noch beschimpfen lassen. Ich stand fast nur noch an der Kasse – oder am Lottostand. Die Arbeit, die ich so gern gemacht habe, wurde mir immer mehr zur Last. Es wurde eintönig. Ich war unterfordert und frustriert. Auch meine Kollegen wurden immer verbitterter, haben gegeneinander gestichelt. Es ging sogar in Mobbing über. Und das bei intelligenten, erwachsenen Menschen. Neeee du, das reicht mir jetzt!

Kratz die Kurve!

Die Suche nach dem Ausweg

Zitat Banksy

Was mache ich also? Hier gibt es keine Perspektiven für mich und nein, ich muss mich nicht so behandeln lassen. Ahhhh warte: ich kann doch studieren! Aber was? Und wo? Und ich kann doch meine Ausbildung nicht abbrechen oder? Dann stellt mich doch später niemand ein. Die Leute werden denken, ich gebe auf, ich habe versagt, ich war nicht gut genug.
Ich war mir also sehr unsicher. Ich musste eine Entscheidung fällen, aber wie soll ich mich entscheiden? Und ich hatte viel Glück: ich hatte meine Familie und ich hatte meine Freunde.

Ich weiß nicht, ob ich damals den Mut und die Kraft gehabt hätte, den Schritt den ich dann gegangen bin auch alleine zu gehen. Du musst bedenken ich war erst süße 20 Jahre alt – da lässt man sich noch viel vom Umfeld und den Meinungen anderer beeinflussen. Du nicht? Ganz ehrlich nicht? Ich bin stolz auf dich! Und du kannst auch stolz auf dich sein!

Neue Sicherheiten schaffen

Was habe ich jetzt getan? Ich habe mich zuerst mit einer Beraterin vom Arbeitsamt getroffen (hör bitte nicht auf die Vorurteile, da arbeiten Menschen und keine Teufel!).
Ich habe mit ihr über meine Ängste und Sorgen gesprochen, was das für Auswirkungen auf meine berufliche Zukunft haben kann. Wir haben alles einmal rational und mit Abstand betrachtet und legitime Gründe gefunden, die für einen Ausbildungsabbruch gesprochen haben. Dadurch war ich mir in der Entscheidung sicher, dass ich die Ausbildung vorzeitig beenden werde.
Das wäre also erledigt.

Der nächste Schritt war es, einen Studienplatz zu finden. Die Bewerbungsfristen für Fachhochschulen habe ich verpasst. Für ein Psychologiestudium war mein Abi zu schlecht. Kunstgeschichte – verdammt ich kann mir keine Zahlen merken… Hm ok ich liebe Bücher immer noch, aber Verlagswesen ist zu speziell. Also was mit Wirtschaft, damit steht mir danach doch wieder die Welt offen… Also fing ich an mich fleißig zu bewerben.

Zieh es durch!

Erstmal kam eine Absage nach der anderen. Und dann endlich eine Zusage! Ich kann Medienwirtschaft studieren. Aber kann ich das wirklich? Gehe ich diesen Schritt? Wie soll ich das denn kommunizieren, dass ich kündig? Und dann muss ich hier weg, wieder umziehen, wieder ganz neu anfangen.

Als ich jetzt vor der finalen Entscheidung stand, kamen wieder neue Zweifel und Unsicherheiten auf. Aber mir war klar, dass ich diesen Weg gehen muss. Naja ich kann dir jetzt erzählen, dass ich die Schultern gestrafft habe, ins Büro meines Chefs gerannt bin und ihm die Kündigung hingeknallt habe. Aber das habe ich nur innerlich.

Tatsächlich war der finale Schritt für mich wirklich schwer. Es war schließlich eine lebensverändernde Entscheidung. Innerlich habe ich sie natürlich längst getroffen, aber nun musste ich es noch durchziehen. Du glaubst gar nicht wie befreit ich danach war! Ich konnte wieder lachen, ich war entspannt, ich habe meinen Job bis zum letzten Tag gemacht – aber ich habe mir nicht mehr den Arsch aufgerissen.

Ich bin erstmal wieder nach Hause gezogen. Dann ging es wieder von vorne los: Wohnung suchen, bürokratischen Papierkram erledigen,… Da ich schon einmal komplett bei Null angefangen hatte, hatte ich keine Angst und keine größeren Bedenken dabei, dass ich wieder einen Neustart hinlege. Im Gegenteil, ich war erfüllt mit der Vorfreude! Mit dieser positiven Nervosität, die das Herz flattern lässt, weil du dich ganz und gar auf etwas Neues, etwas Unbekanntes einlässt.

Dankbarkeit

Linde daheim

Ich danke meinen Freunden und meiner Familie für Ihre Unterstützung. Ich danke dafür, diesen Weg gegangen zu sein. Für die Herausforderungen und Erlebnissen, an denen ich wachsen konnte. Und ich danke dir für’s Zuhören!

Wenn du Fragen hast oder Anmerkungen oder vielleicht deine eigene Geschichte erzählen möchtest, melde dich gerne bei mir!

Zusatz

Was ist aus psychologischer Sicht in dieser Geschichte tatsächlich passiert? Wenn du wissen möchtest, wie ich aus heutiger Sicht darüber denke und was für eine Rolle sie für mein Happy Burnout spielt: ich werde einen Beitrag aus distanzierter Sicht dazu schreiben und hier dann verlinken – hab etwas Geduld mit mir 😉